Der Sieg des Königs

8 Die Erde bebte und wankte, und die Grundfesten der Berge bewegten sich und bebten, da er zornig war.  9 Rauch stieg auf von seiner Nase und verzehrend Feuer aus seinem Munde; Flammen sprühten von ihm aus.  10 Er neigte den Himmel und fuhr herab, und Dunkel war unter seinen Füßen.  11 Und er fuhr auf dem Cherub und flog daher, er schwebte auf den Fittichen des Windes.  12 Er machte Finsternis ringsum zu seinem Zelt; in schwarzen, dicken Wolken war er verborgen.  13 Aus dem Glanz vor ihm zogen seine Wolken dahin mit Hagel und Blitzen.  14 Der HERR donnerte im Himmel, und der Höchste ließ seine Stimme erschallen mit Hagel und Blitzen.  15 Er schoß seine Pfeile und streute sie aus, sandte Blitze in Menge und jagte sie dahin.  16 Da sah man die Tiefen der Wasser, und des Erdbodens Grund ward aufgedeckt vor deinem Schelten, HERR, vor dem Odem und Schnauben deines Zornes. (Psalm 18,8-16)

Was David hier in markigen, bildhaften Worten beschreibt ist das Gericht Gottes über Davids Feinde. Das ist, was David erlebte. Dass der Herr gegen seine Feinde gewaltsam vorging und ihn selbst so rettete.

Bei Jesus dagegen ist es etwas Entscheidendes ganz anders! Als Jesus am Kreuz stirbt, wird es auf einmal dunkel – gegen 12 Uhr – mitten am Tag also. Ein Zeichen für das Gericht Gottes. Als Jesus stirbt, übt Gott Gericht für alle Grausamkeiten, alle Schuld, jedes Verbrechen – soweit die Gemeinsamkeiten mit David.

Aber über wen kommt das Gericht Gottes in diesem Moment? Kommt Gott in seiner Gewalt und Macht und tilgt sie alle davon, die Feinde Jesu? Die römischen Soldaten, die ihn verlacht und ans Kreuz geschlagen hatten? Die Pharisäer und Schriftgelehrten, die Hohenpriester, die sich so für seine Kreuzigung eingesetzt hatten? Die große Menschenmenge, die sich hat aufstacheln lassen und „Kreuzige ihn“ schrien? Kommt Gott in seiner Gewalt und tilgt sie davon, die Feinde Jesu?

Gott übt Gericht auch bei Jesus, auch an Karfreitag. Aber Gott übt das Gericht nicht an den Feinden, um so den Unschuldigen – Jesus – zu retten. Gottes Gericht kommt über das unschuldige Opfer – über Jesus – er trägt das Gericht! Gottes Gericht geht an Karfreitag auf Jesus herab – nicht auf die Feinde Jesu – um die Feinde, um uns, zu retten. Was für ein wunderbarer Gegensatz zu David. Er war das Opfer und Gott richtete seine Feinde. Später war Jesus, der Sohn Gottes, das Opfer und wir seine Feinde – und Gott richtet seinen Sohn, um uns, die Feinde zu retten.

In V. 17-20 lesen wir, wie David, der unschuldig Verfolgte, diese wunderbare Rettung aus der Not empfand: 17 Er streckte seine Hand aus von der Höhe und faßte mich und zog mich aus großen Wassern. 18 Er errettete mich von meinen starken Feinden, von meinen Hassern, die mir zu mächtig waren;  19 sie überwältigten mich zur Zeit meines Unglücks; aber der HERR ward meine Zuversicht.  20 Er führte mich hinaus ins Weite, er riß mich heraus; denn er hatte Lust zu mir. Jesus war derjenige, der überhaupt keine Schuld hatte – nicht mal ein bisschen. Er ist das unschuldige Opfer schlechthin. Und doch gilt, was wir eben gelesen haben, nicht mehr dem unschuldigen Opfer, sondern es gilt jetzt uns, den schuldigen Feinden, den Verfolgern Jesu. Wir werden gerettet! Die schuldigen Verfolger werden gerettet! Denn ja, wir sind schuld am Tode Jesu – auch wenn wir nicht direkt beteiligt waren. Auch wenn andere die direkte Verantwortung tragen. Aber es war deine und meine Schuld, die Christus ans Kreuz gebracht hat. Es war das Gericht, das du und ich hätten erleben müssen, was Christus durchlitten hat. Der Sieg des Königs am Kreuz, besiegelt durch seine Auferstehung, bewahrt uns vor dem Gericht und schenkt uns – den Feinden – die Rettung. Jesus Christus spricht: „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.” (Joh 5,24)

Meine ganze Predigt, die ich an Ostersonntag über Psalm 18 gehalten habe, findest du hier: Der Sieg des Königs

Psalm 22 – Jesu Leidenspsalm?

Ich sitze zur Zeit an meiner Karfreitagspredigt über Psalm 22, der gemeinhin als Psalm des Gekreuzigten bzw. Jesu Leidenspsalm gilt. Nicht zuletzt, weil Jesus selbst aus diesem Psalm am Kreuz zitierte und auch die Evangelisten an mehreren Stellen auf diesen Psalm Bezug nahmen. Ursprünglich ist dieser Psalm allerdings ein davidischer Psalm. In welchem Verhältnis steht nun die ursprüngliche Situation anlässlich der David diesen Psalm dichtete und die Passion Jesu? Dürfen wir überhaupt Jesu Leidensgeschichte von diesem Psalm her deuten?

Franz Delitzsch erklärt:

„Daß David, der von Samuel gesalbte, ehe er zum Throne gelangte, einen Leidensweg zu gehen hatte, der dem Leidenswege Jesu, des von Johannes getauften Davidssohnes, gleicht, und daß dieses typische Leiden Davids für uns in den Ps. wie in Spiegelbildern fixiert ist, das ist eine Veranstaltung göttlicher Mach und Gnade und Weisheit. Aber Ps. 22 ist doch  nicht bloß ein typischer. Denn in dem Wesen des Typus liegt der Abstand vom Antitypus. In Ps. 22 aber steigt David mit seinen Klagen in eine Tiefe hinab, die jenseits der Tiefe seines Leidens liegt, und steigt mit seinen Hoffnungen in eine Höhe hinau, die jenseits der Höhe seines Leidenslohnes liegt. Mit anderen Worten: die Redefigur der Hyperbel, ohne welche die poetische Diktion in den Augen des Semiten matt und fahl wäre, steht hier im Dienste des Geistes Gottes. Das hyperbolische Element wird dadurch zum prophetischen. Diese Steigerung des Typischen zum Prophetischen ist auch psychologisch nicht so unbegreiflich (…). Seit David mit dem Öle der Königsweihe und zugleich mit dem h. Geiste, dem Amtsgeiste des Königtums der Verheißung, gesalbt ist, sieht er sich selbst als Messias Gottes an, auf welchen die Verheißungen zielen, und vermöge dieser Selbstanschauung im Lichte des höchsten heilsgeschichtlichen Berufs idealisiert sich ihm die historische Wirklichkeit seiner Erlebnisse, und sowohl was er erlebt als was er erhofft gewinnt dadurch eine in die Geschichte des schließlich und wahrhaftigen Christus Gottes hinausreichende Tiefe und Höhe des Hintergrundes. Wir behaupten damit kein Überschwanken von seiner eignen Person zu der des künftigen Christus. Nein, sich selbst als den Christus Gottes ansehend, sieht er sich, wenn wir es erfüllungsgeschichtlich ausdrücken, in Jesu Christo an. Er unterscheides sich nicht von dem Künftigen, sondern sieht in sich selber den Künftigen, dessen Bild erst später sich von ihm ablöst und dessen Geschichte mit dem Überschwenglichen seiner Aussagen sich decken wird. Denn wie Gott der Vater die Geschichte Jesu Christi ratschlußmäßig gestaltet, so gestaltet sein Geist darauf hin auch die Selbstaussagen Davids, des Typus des Künftigen. Durch diesen Geist, welcher der Geist Gottes und des künftigen Christus zugleich ist, hat Davids typische Geschichte, wie er sie in seinem Ps. und bes. diesem aussagt, jene ideale Vertiefung, Verklärung und Potenzierung erhalten, vermöge welcher sie weit über ihren typischen Thatbestand hinausgeht, bis zu dessen ratschlußmäßiger Wurzel durchdringt und zum Worte der Weissagung erwächst, so daß sich gewissermaßen mit Recht sagen läßt, Christus rede hier durch David, inwiefern der Geist Chrisi durch ihn redet und das vorbildliche Leiden seines Ahns zum Darstellungsmittel seines künftigen eignen macht. Ohne Anerkennung dieses unumstößlichen Sachverhalts kann Ps. 22 weder verstanden noch nachempfunden werden.“