Bibelkunde und die Liebe zum Wort

Als ich im Herbst 2005 mein Theologiestudium an der FTH Gießen (die damals noch FTA hieß) begann, stand neben Griechisch vor allem Bibelkunde auf dem Programm. Ich erinnere mich nur noch an wenige Einzelheiten aus diesen Vorlesungen. Sehr gut eingeprägt hat sich bei mir dagegen die Haltung, mit der mein damaliger Dozent uns die Bibel näher brachte.

Seine Haltung war einerseits geprägt von großer Liebe zum Wort. Man hat es gespürt, dass diesem Mann die Bibel kostbar ist. Sie war für ihn nicht nur Unterrichtsgegenstand über den er eben zu referieren hat, sondern sie war ihm auch persönlich ein großer Schatz.

Man spürte ihm andererseits Demut gegenüber dem Wort ab. Er hat uns nicht nur erklärt, warum die Bibel die autoritative Offenbarung Gottes ist, wie man das begründen kann und warum das wichtig ist. Nein, man hat schon an der Art und Weise wie er über die Bibel sprach oder wie er mit schwierigen Stellen umging, gemerkt, dass die Bibel für ihn persönlich tatsächlich das Wort Gottes ist, dem es sich unterzuordnen gilt.

Und zuletzt war seine Haltung von großem Interesse an der Bibel gekennzeichnet. Nun, mein damaliger Dozent unterrichte Bibelkunde damals schon seit Jahrzehnten. Aber sein Interesse an der Heiligen Schrift tat das keinen Abbruch. Wenn neue Fragen auftauchten, war er immer daran interessiert, eine gute Antwort zu finden.

Wenn ich so darüber nachdenke, dann bin ich sehr dankbar, dass dieser Dozent (und auch die übrigen) mir so eine Haltung der Liebe zum Wort, der Demut gegenüber dem Wort und des Interesses am Wort so lebendig vorgelebt haben. Das ist mit Sicherheit das Wertvollste, was ich aus vier Jahren Studium mitgenommen habe (und ich habe natürlich noch viele andere sehr wertvolle Dinge gelernt wie Exegese, Homiletik und andere fachliche Dinge)

Ich frage mich aber auch, welche Haltung ich eigentlich vermittle, wenn ich über Gottes Wort spreche. Welche Haltung gegenüber der Bibel nehmen die Gottesdienstbesucher war, wenn ich sonntags predige? Was denken meine Jugendlichen im Jugendkreis, wenn ich mit ihnen über einen Bibeltext spreche? Mein Wunsch und Gebet ist es, dass man auch mir das abspürt: Dass ich Gottes Wort liebe. Dass es für mich nicht nur abstrakt-theoretisch sondern auch persönlich autoritativ ist. Und dass ich echtes Interesse – ja Hunger – nach diesem Wort habe, das doch das Wort des allmächtigen Gottes ist.

Von Calvin beten lernen

Tim Keller nimmt in seinem fantastischen Buch über das Gebet auch in den Blick, was der Reformator Calvin über das Gebet in seiner Institutio geschrieben hat. Keller fasst Calvins „Gebetsregeln“ wie folgt zusammen:

  1. Ehrfurcht vor Gott, d.h. sich vergegenwärtigen, was für etwas Großes und Ernstes Gebet ist: „Wer dagegen an das Evangelium glaubt – also davon überzeugt ist, eine Gnade empfangen zu haben, die ebenso unverdient wie unerschütterlich ist – hat eine immer größere Freude und Liebe, die sich in einer immer stärkeren Ehrfurcht äußert. Weil wir eine unaussprechlich tiefe Liebe zu Gott verspüren, zittern wir, wenn wir daran denken, dass wir das Vorrecht haben, vor ihn treten zu dürfen, und wollen ihm um nichts in der Welt Unehre machen.“ (110)

  2. Der eigenen Unzulänglichkeit bewusst sein: „Wir müssen uns mit rücksichtsloser Ehrlichkeit unseren Fehlern und Schwächen, unseren Zweifeln und Ängsten und unserer innerer Lehre stellen.“ (111)

  3. Gott in demütigem Vertrauen gegenübertreten

  4. Mit zuversichtlicher Hoffnung beten

  5. Gnade: „Absolut nichts, was wir sagen oder tun, kann uns die Tür zu Gott öffnen. Das kann nur die Gnade – Gottes Gnade, die nicht auf unserer Leistung beruht, sondern auf dem Erlösungswerk Christi.“ (115)

Timothy Keller, Beten: Dem heiligen Gott nahekommen, Gießen: Brunnen, 2016.